Nachtragshaushalt rechtssicher überarbeiten

von fraktion

Die Grünen im Kasseler Rathaus haben tiefgreifende sozialpolitische und rechtliche Bedenken gegenüber dem Nachtragshaushalt und der Vorlage Christian Geselles zum Einwohnerenergiegeld. Stattdessen fordern die Grünen, die finanziellen Spielräume, die sich durch höhere Steuereinnahmen eröffnen, nachhaltig und verantwortungsvoll zu nutzen. Der Kämmerer soll daher eine rechtssichere Überarbeitung des Nachtragshaushalts, welcher weitere unvermeidliche Mehrausgaben der Kommune aufgrund der Krise berücksichtigt und das EinwohnerEnergieGeld nicht mehr enthält, vorlegen.

 

Die Vorlage Geselles sieht vor, den Einwohner*innen Kassels unabhängig von ihrer Einkommenshöhe einen Zuschuss von 75,00 € zu zahlen. Ein solcher Beschluss der Kasseler Stadtverordnetenversammlung wäre für die Stadt Kassel mit erheblichen rechtlichen Risiken behaftet und beinhaltet zudem eine sozial ungerechte Lösung, so die Auffassung von Anja Lipschik, sozialpolitische Sprecherin und Sophie Eltzner, haushaltspolitische Sprecherin der Grünen Rathausfraktion.

 

„Der Entwurf von Herrn Geselle führt zu dem Ergebnis, dass genau diejenigen, die es am Nötigsten haben, von dem Geld nichts hätten, weil ihre Leistungen in gleicher Höhe gekürzt würden. Dies ist sozial höchst ungerecht“, so Lipschik. „Herr Geselle behauptet ohne jeden Beleg, das Einwohnerenergiegeld würde auf Sozialleistungen nicht angerechnet. Daran haben wir erhebliche Zweifel. Mit seinem Vorschlag weckt er Erwartungen bei Betroffenen und den Sozialverbänden, die er am Ende nicht erfüllen kann.“

 

„Es ist nicht einmal auszuschließen, dass die Kommunalaufsicht nach eingehender Prüfung einen entsprechenden Beschluss bereits deshalb kassiert, weil die Regelung eines Einwohnerenergiegeldes nicht in der Verbandskompetenz der Stadt liegt“, so Lipschik weiter.

 

Richtig sei allerdings, die Herausforderungen im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg entschlossen anzugehen.  „Die Haushaltsposten, die für Leistungen für Geflüchtete aus der Ukraine, den damit verbundenen personellen Mehraufwand und weitere damit im Zusammenhang stehende Veränderungen im Nachtragshaushalt eingestellt wurden, begrüßen wir ausdrücklich“, sagt Sophie Eltzner.

 

„Es ist auch eine gute Nachricht, dass der Kämmerer mit dem vorgelegten Nachtragshaushaltsentwurf transparent machen konnte, dass er trotz der angespannten Weltlage sowohl zusätzliche Einnahmen aus der Gewerbesteuer als auch zusätzliche Einnahmen aus dem Gemeindeanteil an der Einkommenssteuer erwartet. Dieser kurzfristig verfügbare finanzielle Spielraum würde mit den insgesamt 16,3 Millionen Euro für das EinwohnerEnergieGeld aber ohne jeden nachhaltigen Effekt verpuffen. Daher fordern wir den Magistrat auf, diese Mittel für unvermeidbare Mehrausgaben der Kommune zu verwenden, deren Ursprung ebenfalls in den aktuellen Krisen liegt“, so Eltzner.

 

Schließlich sei es angesichts der unsicheren Weltlage unverantwortlich anzunehmen, dass die Einnahmen der Stadt Kassel sich langfristig von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung abkoppeln können. Zusätzlich werden die kommenden Haushalte der Stadt Kassel durch weitere Folgen sowohl des Ukraine-Krieges als auch der Corona-Krise belastet werden. Dazu zählen insbesondere eklatante Baukostensteigerungen, die es bereits heute schon gibt und bei denen weitere Steigerungen zweifelsfrei zu erwarten sind.

 

Rechtlicher Hintergrund

 

Anrechnung von Sozialleistungen

Die Zahlung des Einwohnerenergiegeldes ist im Rahmen der Ermittlung der Einnahmen von Bezieher*innen bedürftigkeitsabhängiger Sozialleistungen leistungsmindernd zu berücksichtigen. Dies gilt für SGB II, SGB XII sowie andere bedarfsabhängige Leistungen (BAföG, Wohngeld u. a.). Es sind keine bundesgesetzlichen Ausnahmen ersichtlich, die eine Nichtanrechnung dieses Energiegelds zulassen. Nach den einschlägigen sozialrechtlichen Vorschriften werden Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem darin ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, als anzurechnendes Einkommen berücksichtigt, soweit die Leistungen nach dem SGB II und SGB XII im Einzelfall demselben Zweck dienen. Dies bedeutet für das Energiegeld, dass dieses vollständig anzurechnen ist; denn es dient genau dem Zweck, dem z. B. auch die Regelungen des SGB II dienen, nämlich die aktuellen Lebenshaltungskosten in Bezug auf die Kosten für Unterkunft und Heizung oder auch im Hinblick auf den Regelbedarf (Stromkosten) finanzieren zu können.

 

Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft

Es ist nicht auszuschließen, dass die Kommunalaufsicht nach eingehender Prüfung einen entsprechenden Beschluss bereits deshalb kassiert, weil die Regelung eines Einwohnerenergiegeldes nicht in der Verbandskompetenz der Stadt liegt. Gemäß der in Art. 28 Abs. 2 GG festgelegten Aufgabenbestimmung steht den Gemeinden im Rahmen ihrer Selbstverwaltungsgarantie grundsätzlich das Recht zu, die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft selbst zu regeln.  „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ sind solche, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln. Auf Kassel bezogen bedeutet dies, dass solche Fragen und Probleme in der örtlichen Gemeinschaft ihren Ursprung haben, die den Einwohner*innen Kassels gerade deshalb gemeinsam sind, weil sie in Kassel wohnen. Dies trifft auf die durch den Ukraine-Krieg gestiegenen Energiekosten erkennbar nicht zu, da diese Problemstellung alle Bürger*innen Deutschlands und darüber hinaus betrifft. Der spezifische Ortsbezug zu Kassel fehlt. Dieser wird auch nicht dadurch hergestellt, dass das Einwohnerenergiegeld nur an Einwohner*innen Kassels ausgezahlt wird. Die Kasseler Stadtverordnetenversammlung kann beispielsweise auch nicht für Kassler*innen andere Einkommenssteuersätze festlegen als im übrigen Bundesgebiet. Der nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes zuständige Bund hat den Sachverhalt der kriegsbedingt gestiegenen Energiekosten auch bereits gesetzgeberisch und bundeseinheitlich behandelt.

Diese Website verwendet Cookies – nähere Informationen dazu und zu Ihren Rechten als Benutzer finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Verstanden