Grüne: Kasseler CDU noch im Denken des Kalten Krieges verhaftet

von fraktion

Zu Adenauers Zeiten fielen Anna Seghers Romane von internationalem Rang der Zensur zum Opfer. Literatur von bekennenden Kommunisten durfte in den Anfangsjahren des Kalten Krieges nicht gelesen werden. In derselben Argumentationslinie befindet sich die Kassler CDU mit ihrem Protest gegen die geplante Anna-Seghers Straße in Wehlheiden. „Es ist unstrittig, dass Anna Seghers großer Wunsch nach Freiheit in der DDR auf brutalste Weise Menschen genommen wurde und dass sie sich für die falsche Ideologie entschieden hat“, so Gernot Rönz, Fraktionsvorsitzender der Grünen Rathausfraktion. „Unstrittig ist auch, dass sie dieser Ideologie dennoch bis zu ihrem Tod anhing und es einer kritischen Auseinandersetzung mit ihrer Person  bedarf. Damit steht sie aber in einer Tradition mit vielen anderen bedeutenden Künstlern, die sich bewusst für ein Leben in der damaligen DDR entschieden haben. Eine pauschale Ablehnung darf es nicht geben.“ So habe sich Anna Seghers auch mehrfach mit dem Regime gestritten, wie z.B. beim Prozess gegen den Verleger des Aufbau-Verlages Walter Janka. Die Interpretation von Romanen, die in Staaten mit starker politischer Zensur geschrieben werden, ist häufig sehr schwierig. In dieser Tradition ist auch die einseitige Lesart von Anna Seghers als Handlangerin des realexistierenden Sozialismus schwierig. Anna Seghers Stasi-Akte zeigt jedenfalls deutlich, wie misstrauisch die Herrscher der DDR gegenüber der überzeugten Kommunistin waren und ihre erst 1990 veröffentlichte Erzählung „Der gerechte Richter“. In dieser klagt Seghers die politische Einflussnahme auf die Justiz an.

Unstrittig ist jedoch die literarische Bedeutung von Anna Seghers Romanen, die in ihrer Exil-Zeit entstanden. „Ausnahmslos alle Bundesländer sehen die Lektüre von Anna Seghers Literatur in der gymnasialen Oberstufe vor“, so Gernot Rönz. „Die konservativ regierten Länder wie Bayern oder Hessen machen hierbei keine Ausnahme. Es wäre wünschenswert, wenn sich die CDU nicht nur über Wikipedia über bedeutende deutsche Persönlichkeiten informiert, sondern das Urteil den Personen überlässt,  die sich intensiv und wissenschaftlich fundiert mit ihnen auseinandersetzt. Die Mainzer Ehrenbürgerin Anna Seghers gehört unstrittig zum deutschen Kulturgut.“

Auch den Zeitpunkt des CDU-Protestes wird von den Grünen kritisiert. Seit Jahren gibt es eine öffentliche Liste des Archivs der deutschen Frauenbewegung mit geeigneten Persönlichkeiten zur Umsetzung des städtischen Konsenses, mehr Straßen und Plätze nach Frauen zu benennen. Anna Seghers ist eine der vorgeschlagenen Berühmtheiten. „Im März jährt sich Anna Seghers Todestag zum 30. Mal. Die Entscheidung eine Straße in Wehlheiden nach ihr zu benennen und mit dem Zusatz „Schriftstellerin“ zu versehen ist wünschenswert und dient der Auseinandersetzung mit der komplexen deutschen Geschichte“

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